„Prosopographische Studien“ der Germania Sacra zum Lübecker Domkapitel

Unter dem Titel „Prosopographische Studien“ startete mit drei Bänden im vergangenen Jahr eine neue Veröffentlichungsreihe des bekannten Forschungsprojekts „Germania Sacra. Die Kirche des Alten Reiches und ihre Institutionen“. Prosopographisch betrachtet werden soll hier „das geistliche Personal der Diözesen und Domstifte“. Die Selbstbeschreibung fährt fort: „Neben grundlegenden biographischen Informationen werden vor allem die Ämterkarrieren der Kleriker möglichst vollständig erfasst. Die Datengrundlage ist in den Online-Datensammlungen „Domherren des Alten Reiches“ und „Bischöfe des Alten Reiches“ abrufbar, hier sind auch interaktive Recherchen möglich. Alle Daten sind mit Normdaten und weiterführenden Links angereichert.“ – In diesem Sinne liefern die besagten drei Bände Daten für das jeweilige „geistliche Personal“ der Domstifte Hildesheim, Schwerin (bis 1400) und Lübeck.

Ein erster Blick in den Lübecker Band hat mich leider nicht wirklich überzeugt. Zur Basis des Verzeichnisses heißt es in der Einleitung:

Von den Bänden der Germania Sacra abgesehen, wurden also ganze fünf Veröffentlichungen als Basis herangezogen, wobei der Artikel im schleswig-holsteinischen Klosterbuch (S. 124-184 im zweiten Band) nur eine knappe Zusammenstellung zu Inhabern spezieller Ämter und Funktionen enthält (S. 141-142).

Näher angesehen habe ich mir zunächst den Eintrag zum Lübecker Kanoniker und zeitweiligen Domkantor Wolmer Wolmers, mit dem ich mich einst in einer bis heute unvollendeten Untersuchung zur vorreformatorischen Geistlichkeit auf Fehmarn näher beschäftigt habe. Diese Stichprobe ist vielleicht nicht ganz fair, da eine erhebliche Verwechslungsgefahr mit Werner Wolmers besteht, der eher in Schwerin agierte und dort letztlich zum Bischof aufstieg. Der Eintrag in den „Studien“ thematisiert diese Gefahr durchaus:

Allerdings macht machen es sich die BearbeiterInnen m.E. mit dem Hinweis „Identitifizierung und Amtsangaben sind unklar“ recht einfach. Auch wenn man bei einer Sammlung von 1100 Personen nicht eine Einzelschau in jedem Fall erwarten kann: Hier wäre es schon geboten gewesen, einmal genauer hinzusehen.

Die angeführten „Schweriner Daten“ gehören jedenfalls nicht zur Karriere Wolmer Wolmers, sondern zu der Werner Wolmers (der außerdem auch Lübecker Domherr gewesen zu sein scheint, s.u., aber im Verzeichnis ansonsten nicht auftaucht). Im „ Wissensaggregator Mittelalter und Frühe Neuzeit“ auf den der Studienband verweist, findet sich denn leider die Angabe „Domprobst Domstift Schwerin 1455–1458“ sowohl bei Wolmer als auch bei Werner.

Wie sehr die knappe Übersicht des Bandes zu kurz greift, verdeutlicht vielleicht eine Gegenüberstellung mit meinem angesprochenen Abschnitt zum auf Fehmarn bepfründeten Wolmer, den ich unten in der Rohfassung wiedergebe.

Es mag sein, dass der Band einen größeren Mehrwert gegenüber den zu seiner Erstellung herangezogenen Arbeiten hat, auch wenn ich dies auf Anhieb nicht erkennen kann. Auf jeden Fall ist er in dieser Form nur als allererster Schritt zu begreifen. Eine weitere Ausarbeitung durch Recherchen wäre zu begrüßen. Hierzu könnte neben RG online und verschiedenen online-Findbüchern auch die „Kleriker-Kartei“ von Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt herangezogen werden, die sich inzwischen im Landesarchiv Schleswig-Holstein befindet (Einen Überblick zum in der Kartei erfaßten Personal des Lübecker Doms bietet der von Lorenzen-Schmidt mit herausgegebene Sammelband „Pfarrer, Nonnen, Mönche“ von 2011, S.197-210)

Wolmar Wolmers: 1451

Im April 1451 gewährt Papst Nikolaus V. dem Kirchherrn zu Petersdorf auf Fehmarn, Volmarus Volmers, eine Frist von zwei Jahren, um die für das Benefizium notwendigen Weihen zu erlangen.1

Für sein Amt auf Fehmarn bleibt dies der einzige Beleg, doch erhalten wir aus anderen Quellen ungleich mehr Informationen über andere Stationen seiner Karriere. Eine Schleswiger Urkunde aus dem Jahr 1438 nennt ihn als Geistlichen aus dem Bistum Bremen.2 Wie andere Geistliche seiner Zeit stand auch Volmers zeitweise im Dienst eines weltlichen Herrn. Er war 1451 auch Sekretär des schleswig-holsteinischen Herzogs Adolf VIII..3 1453 und 1454 wird er gar als herzoglicher „cantzler/cancellarius“ bezeichnet.4 Der Herzog könnte Volmers zur Kirchherrnstelle in Petersdorf verholfen haben; denn er hatte nachweislich um 1450 das betreffende Patronatsrecht.5 Volmers bemühte sich um weitere Pfründe: 1452 um eine Vikarie in der Kapelle S. Ipolit im Bistum Paderborn, 1454 um ein Kanonikat mit Präbende am Lübecker Dom.6 Das Streben nach dieser höheren Pfründe scheint schon bald erfolgreich gewesen zu sein. Schon im Folgejahr zahlt Wolmar durch den aus Lübeck stammenden Kuriengeistlichen Hermann Gherven 12 Kammergulden Annaten.7 Spätestens ab 1461 tritt Volmers sicher als Domherr in Erscheinung; in den Jahren 1475/6 auch als Cantor des Lübecker Doms.8 In den 1460er Jahren ist Volmers auch als Prediger in Oldenburg/Holstein urkundlich belegt.9 Daneben scheint er am selben Ort auch eine Vikarie besetzt zu haben, die er um 1470 freigibt.10

Wolmers stirbt am 23. September 1480 und wird im Lübecker Dom begraben.(„Anno domini m cccc lxxx die sabati xxiii septembris obiit dominus Wolmarus Wolmers huius ecclesie cantor et canonicus N. 96“).11

Ob Wolmer mit dem Lübecker Domherrn und Schweriner Bischof Werner Wolmers verwandt war, der aus Hamburg stammte, bleibt offen.12 Auffällig ist zumindest, dass Werner ebenfalls im Herbst 1455 durch den erwähnten Gherven der Kurie seine Annaten entrichten ließ.13

Auch eine verwandtschaftliche Beziehung zu Marquard Wolmers, clericus bremensis, der in Hamburg ab 1437 als Kapitelssekretär, Notar (Imperiali auctoritate), Vikar im Dom und Calandsmitglied auftritt14, ist möglich. Marquard gehörte jedoch einer früheren Generation an. Er sucht bereits 1419 und verstärkt in den 1420er Jahren bei der Kurie um Provisionen nach und starb offenbar vor dem 29.10.1454.15

Ein anderer, wiederum früherer Marquard Wolmers wiederum gehörte 1383 dem Hamburger Rat an.16

1 APD III, Nr. 1973 (5.4.1451). Rep.Germ. VI.1, Nr. 1219.

2 Repertorium Diplomaticum Regni Danici Mediaevalis III, Nr. 6971 (clericus Bremensis diocesis)

3 Rep.Germ. VI.1, Nr. 1218; 1219.

4 UBStL IX, Nr. 159 (7. 10.1453, Vergleich des Johann Wulff mit den Räten von Lübeck und Hamburg und Eingesessenen der Landschaft Altengamme). Urkundensammlung III.1, Nr. 76 (S. 100) (5.11.1454, Volrad von Bockwold verkauft sein Dorf Süsel mit dem See an das Kloster Arensbök für 2100 Mark).

5 APD IV, Nr. 1973.

6 Rep.Germ. VI.1, Nr. 1218; 1219; 1707.

7 Rep.Germ. Online, RG VII 00605, URL: <http://rg-online.dhi-roma.it/RG/7/605&gt; (Datum 30.06.2015).

8 UBBL III, Nr. 1774 ; 1911; 1915 (1476, 23. Apr. – Wolmer Wolmers, cantor); 1916 (1476, 24. Apr.). Siehe auch: UBBL III, Nr. 1793; 1816. UBBL IV, Nr. 2462 (15); 2463 (12); 2503 (Z. 3926f.). UBStL XI, Nr. 143.

9 LASH Urk.-Abt. 140.2 Nr. 26; LASH Urk. Abt. 140.1, Nr. Nr. 32; UBBL III, § 2008 (1490, 27. Aug.); Christiani, Wilhelm Ernst: Hertugdömmet Sleswigs og Holsteens Historie Bd. V. Odense 1783, S. 332. Vgl. Schröder: Topographie Holstein II, 1841, S. 339.

10 LASH Urk. Abt. 140.1, Nr. Nr. 32 (1.2.1468, Albert Bischof von Lübeck genehmigt den Pfründentausch des Wolmar Wolmers, Kanoniker zu Lübeck und Rectors der Pfarrkirche zu Oldenburg und des Volrad Stock, Vikar ad Altare ss. Petri et Pauli in Neukirchen im Lande Oldenburg); UBBL III, § 1860 (12.3.1471, König Christian von Dänemark,Graf von Holstein präsentiert dem Bischof von Lübeck zu der durch Resignation des Wolmar Wolmers erledigten Vikarie in Oldenburg den Priester Peter Stock).

11 Techen: „Die Grabsteine des Doms zu Lübeck“, in: ZVLGA 7 (1898). 52-107, hier S. 80 (Nr. 159) (Nachzusehen: Krüger: Corpus) – Nach Techen liegt das Grab in der nördlichen Reihe „nach Westen zu“.

12 Papistisches Mecklenburg, S. 2122. Werner Wolmers war 1449 nachweislich als Lübecker Domherr mit einigen Verwandten an einem Vergleich über das Patronat einer Commende in der Hamburger St. Jürgenskirche beteiligt: Staphorst: Historia Ecclesiae Hamburgensis diplomatica (Hamburger Kirchengeschichte) I.4, S. 132.

13 Rep.Germ. Online, RG VII 02863, URL: <http://rg-online.dhi-roma.it/RG/7/2863&gt; (Datum 30.06.2015). Zu Gherven, der im Zuge von Werners Aufstieg auch zu höheren Pfründen im Bistum Schwerin gelangte, siehe: Schwarz, Ulrich: „Petenten, Pfründen und die Kurie. Norddeutsche Beispiele aus dem Repertorium Germanicum“, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 133 (1997), S. 10-13.

14 Staphorst: Historia Ecclesiae Hamburgensis diplomatica (Hamburger Kirchengeschichte) I.2, S. 163; 189; 273; 700. Staphorst: Historia Ecclesiae Hamburgensis diplomatica (Hamburger Kirchengeschichte) I.4, S. 43. Nachzusehen SHRU VIII: Kloster Itzehoe, S. 115 u. 138.

15 RG IV 10568; RG Online, RG VI 01814, URL: <http://rg-online.dhi-roma.it/RG/6/1814&gt; (Datum 30.06.2015).

16 SHRU VI.2, Nr. 459.

Mittelalterliches Testament eines auf Föhr bepfründeten Priesters

NLA ST Rep. 3 Zeven Nr. 123

„Testament des Pfarrers Siegfried Peine zu St. Nikolausland in der Schleswiger Diöcese“ v. 16. Mai 1426

http://www.arcinsys.niedersachsen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v1190699

„St. Nikolausland“ in der Archivbeschreibung ist Nonsens. Nicht unbedingt besser ist das „Frie-land“ im Regest der Edition (UB Kloster Zeven, Nr. 139). In der Quelle ist die Rede von der „parochialis ecclesiae sancti nicolai terre ffuer(?)“, lt. Edition: „Friee“, im Bistum Schleswig. „Terre“ deutet auf eine Insel – siehe das für Fehmarn oft verwendete „terre ymbrie“.

Dass tatsächlich wohl die Insel Föhr gemeint ist, bestätigt ein schnelles googeln, über das man gleich auf Westphalen II, Sp. 374-378 (Vgl. Nr. 310 im UB Kiel) verwiesen wird. Zweimal fungiert Sifridus Peynis demnach am 16. Oktober 1424 in Stade als Zeuge und zwar mit dem Titel eines Kirchherrn auf Föhr. Ohne Pfründenangabe taucht er – ebenfalls in Stade – schon 1421 als Zeuge auf (Westphalen II, Sp. 267-271 = UB Kiel, Nr. 287). Mehrere Einträge im Repertorium Germanicum (hier, hier und hier) zeigen Sifridus dann im Frühjahr 1427 beim Streit um eine oder zwei Stader Vikarien. Sein Tod im Laufe dieses Frühjahrs wird in Eingaben eines Gegenspielers zumindest behauptet.

Das Testament erscheint mir vor allem mit Blick auf die ausführlichen Bestimmungen zur Versorgung der „Magd“ und deren Tochter recht interessant. Wahrscheinlich handelt es sich um Frauen in Stade – oder sollte es sich vielleicht doch um Insulanerinnen gehandelt haben?

Fortgesetzte Aufarbeitung personeller u. struktureller Kontinuitäten in SH nach 1945

Das vom Landtag initiierte und geförderte Forschungsprojekt „Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive“, zu dem 2016 eine erste Studie vorgelegt wurde (wir berichteten), hat eine Fortsetzung erfahren, deren Ergebnisse dieser Tage der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Wurden im ersten Teil die Biographien der ersten Nachkriegsparlamentarier ausgeleuchtet, so geht es diesmal genereller um die „Elitenkontinuitäten in Schleswig-Holstein“.

Durchgeführt wurden die Forschungen auch diesmal wieder vom zeit- und regionalgeschichtlichen Institut der Uni Flensburg, welches inzwischen unter dem Namen Forschungsstelle für regionale Zeitgeschichte und Public History (frzph) firmiert.

Generelle Informationen finden sich auf der Homepage des frzph, darunter ein Link zur Landtags-Drucksache, in der die gesamte Studie (über 1400 Seiten) enthalten ist. Letztere kann demnächst auch für gut 60 Euro im Buchhandel erworben werden.

Zwei Abschnitte sind Personen gewidmet, die die landesgeschichtliche Arbeit in SH lange mitprägten: Alfred Kamphausen und Herbert Jankuhn.

Ergänzung v. 09.06.2021: Auch die erste Untersuchung scheint als Landtags-Drucksache online gegangen zu sein:

Limitierter dänischer Druck zu einer Fehmarnschen Vetterschaft

In nur 150 Exemplaren erschienen – Jetzt online gebracht im Rahmen der weiter höchst beachtenswerten digitalen Arbeit der „Slægtsforskernes Bibliotek“.

Mackeprang: Det Mackeprangske Fætterskab (1917)

https://slaegtsbibliotek.dk/920233.pdf

Zu einem 1911 gefeierten Jubiläum der Vetterschaft siehe

https://archive.org/stream/archivfurstammun12rheu#page/n221/mode/2up

Neue OA-Reihe „Kieler Studien zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte“

Das herausgebende Institut informiert:

Die Kieler Studien zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte (KSUW) erscheinen seit 2020 als digitale Open-Access-Reihe unter der Herausgeberschaft von Prof. Dr. Oliver Auge und Karen Bruhn.

Die Reihe erschließt epochenübergreifend neue und innovative Zugänge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte. Insbesondere sollen die KSUW ein Organ sein, um die Ergebnisse aus hervorragenden Abschluss- und Qualifikationsarbeiten des wissenschaftlichen Nachwuchses, die im Umfeld des Kieler Gelehrtenverzeichnisses (KGV) entstehen, zu publizieren. Ergänzt werden die Studien durch regelmäßige Gastbeiträge etablierter Historikerinnen und Historiker.

Erschienen ist:

Bd. 1: Abseits der Universität? Skandal, Terrorismus, Kriegsgefangenschaft in der Kieler Universitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts (2020)

https://macau.uni-kiel.de/receive/macau_mods_00000770